FAZ vom 18. Januar 2006
Die Öl- und Gasreserven der Erde werden in nicht allzu langer Zeit erschöpft sein. Darüber sind sich die Experten einig. Ob die Vorrate den ständig wachsenden Energieverbrauch der Menschen noch 20,40 oder gar 60 Jahre lang decken können, ist zwar noch umstritten. Weitgehende Übereinstimmung herrscht aber in dem Punkt, dass dringend neue Energiequellen aufgetan werden müssen. Dementsprechend breit gefächert sind die derzeitigen Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet. Sie reichen von der Entwicklung neuer Verfahren wie etwa der Kernfusion bis hin zu Überlegungen, wie sich vorhandene Energieträger effizienter oder anders nutzen lassen.
Vor dem Hintergrund versiegender Ölquellen gewinnen unter anderem Verfahren zur Kohleverflüssigung wieder an Bedeutung. Denn Kohle wird auch dann noch in großen Mengen vorhanden sein, wenn das Erdöl langst knapp geworden ist. Bislang hatte dieser Weg der Treibstoffgewinnung hierzulande keine Chance, vor allem aus Kostengrunden. Lediglich Südafrika und seit kurzem auch China - zwei Länder mit großen Kohlevorkommen - verfügen über entsprechende Anlagen. Doch offenbar stehen die entsprechenden Prozesse, deren Grundlagen Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland entdeckt wurden und die im Dritten Reich kriegstaktisch wichtigen Treibstoff lieferten, auch hierzulande vor einer Renaissance.
Die Nutzung der Kohleverflüssigung unterlag bislang einer Einschränkung: Nur so genannte Fettkohle, also dichte Kohle mit einem hohen Anteil an flüchtigen Bestandteilen, ließ sich in flüssige Kohlenwasserstoffe umwandeln. Forschern am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim ist es nun jedoch gelungen, auch so genannte hochinkohlte Kohlesorten zu verflüssigen, zu denen beispielsweise Eß- und Magerkohle gehören. Sie zeichnen sich durch einen hohen Anteil an aromatischen Baugruppen aus, weshalb sich ihre Nutzung bislang nur auf Verbrennungs- oder Vergasungsprozesse beschränkte.
Für gewöhnlich verwendet man bei der Kohleverflüssigung einen festen, unlöslichen Eisenoxyd-Katalysator. Dieser kann jedoch nicht in das aromatische Netzwerk der Magerkohle eindringen. Die Wissenschaftler um Matthias Haenel haben diese Schwierigkeit mit löslichen Bor- und Jodverbindungen behoben. Die Jodborane zerstören nämlich das feste Gefüge der Magerkohle. Sie spalten zum einen die Bindungen innerhalb großer aromatischer Verbande, was mit einer Hydrierung der frei gewordenen Bindungsarme einhergeht. Zum anderen übertragen sie Wasserstoff direkt auf die aromatischen Moleküle wodurch die Doppelbindungen der Ringe aufgebrochen werden. Die auf diese Weise hydrierte Kohle kann anschließend einem konventionellen Hydrocracking- Prozess unterworfen werden, der schließlich flüssige Produkte liefert, berichten die Forscher in der Zeitschrift ,,Angewandte Chemie" (Early View). Kohle ist indes nur einer von vielen Rohstoffen, die sich in Treibstoff verwandeln lassen. Sogar eine gänzliche Abkehr von fossilen Ressourcen scheint möglich. So können auch aus pflanzlichen Rohstoffen flüssige Kohlenwasserstoffe gewonnen werden - mit dem Vorteil, dass beim Verbrennen nur so viel Kohlendioxyd entsteht, wie die Pflanzen zuvor durch Photosynthese aufgenommen haben. Die Firma Choren in Freiberg (Sachsen) hat eine Technik entwickelt, mit der sich über die Zwischenstufe Synthesegas ganze Ackerpflanzen zur Herstellung von Kraftstoff nutzen lassen. Entsprechend hoch ist das Interesse der Automobil- und Mineralölindustrie an dem Verfahren. Daneben werden weitere Wege zur Gewinnung synthetischen Treibstoffs aus Biomasse erprobt. So berichteten vor einigen Monaten amerikanische Forscher über ihre erfolgreichen Versuche, Kohlenhydrate in motortaugliche Substanzen zu verwandeln (siehe F.A.Z. vom 22. Juni 2005). Und mit der so genannten katalytischen drucklosen Verölung steht ebenfalls ein Verfahren zur Verfügung, das - die natürliche Erdölbildung im Schnelldurchgang imitierend Biomasse und auch andere Substrate wie Klarschlamm in Öl verwandelt. Mit Biomasse als Ausgangsstoff erhalt man jedoch nicht direkt verbrennungstauglichen Diesel. Man muss das Öl weiter zu Synthesegas verarbeiten, aus dem sich dann erst die gewünschten Kraftstoffe herstellen lassen. Trotz der begrüßenswerten Vielfalt der Prozesse, die derzeit zur Verwertung von Biomasse entwickelt und getestet werden, dürfe man nach Ansicht von Jürgen Metzger von der Universität Oldenburg einen Umstand nicht außer acht lassen: Die Produktion von einjährigen Kulturpflanzen wie Zuckerrohr oder Mais verlangt die Verwendung großer Mengen an Dünger und Pflanzenschutzmittel. Beides seien hochwertige Substanzen, für deren Erzeugung viel Energie benötigt werde, wie Metzger in der ,,Angewandten Chemie" schreibt. Er sieht als geeignete Quelle synthetischen Treibstoffs daher vor allem Holz, weil es auch ohne solche ,,Fürsorge" gedeiht und dessen verstärkter Anbau der fortschreitenden Entwaldung und Wüstenbildung auf der Erde entgegenwirken würde. Ob Kohle, Holz oder Biomasse den Ausweg aus der Erdölkrise weisen, dürfte aber regionalrecht unterschiedlich bewertet wird.