Bericht von Horst Voss
(ehemaliger Schüler, 1944)
durch Zufall entdeckte ich die Homepage der Friedrich-Bergius-Schule mit einem kurzen Bericht der Schulgeschichte. Zuvor hatte ich vergeblich im Internet Informationen über die Nachkriegszeit vom Friedenauer Gymnasium gesucht bis ich hier fündig wurde. Ich wäre sehr erfreut, wenn Sie in Ihrem Archiv noch über weitere Informationen verfügen würden.
Ich selber war als der letzte Schüler des Friedenauer Gymnasiums im Sommer 1944 im KLV-Lager Heideburg in die Sexta aufgenommen worden, nachdem in Friedenau wegen der ständigen Luftangriffe kein Unterricht an den Schulen mehr stattfand. Nur wenige Wochen zuvor war unsere Familie aus Ostpreußen, wohin die Volksschule Friedenau 1943 evakuiert wurde, (über einen kurzen Aufenthalt im Sudetengau) nach Berlin zurückgekehrt,
Mein Aufenthalt in Heideburg endete, als die Schule wegen der näherrückenden Russen nach Kaufbeuren im April 1944 verlegt werden sollte. In der Nähe von Pilsen wurde unser Zug sowie ein danebenstehender Lazarettzug von Tieffliegern beschossen. Zunächst kamen wir in einem nahe gelegenen Dorf für ein paar Tage unter. Dann wurden wir in Gruppen aufgeteilt und zusammen mit einigen Lehrern machten wir uns zu Fuß auf den Weg in Richtung Bayrischer Wald über die tschechische Stadt Taus unter der ständigen Gefahr, daß Tiefflieger wieder auftauchen und uns beschießen könnten. Unsere Gruppe, wir waren die Jüngsten, unter Begleitung des Direktors Iskraut und seiner Familie, erreichte dann nach einigen Tagen erschöpft deutschen Boden. Nur wenige Kilometer weiter auf deutschem Gebiet machten wir dann in einem kleinen Straßendorf, das nur aus einigen Häusern links und rechts der Straße bestand. Zwei Tage später wurde das Dorf von den näherrückenden Amerikanern fast zwei Tage lang mit Granaten beschossen. Wir Kinder (wir waren zwischen 10 und 13 Jahren) hatten uns während des einsetzenden Beschusses auf die Keller der einzelnen Häuser verteilt. Als die Amerikaner danach in das Dorf einrückten, wurden wir Kinder mit den Lehrern in einem Haus untergebracht und streng bewacht. In dem Dorf wurden zogen die Amerikaner ihre Truppen und rund 50 Panzerfahrzeuge zusammen. Am Morgen darauf sahen wir noch, wie die Panzer sich in Bewegung setzten, als Feuerschutz mußten ein paar junge SS-Soldaten, die man gefangen hatte, vor den Fahrzeugen herlaufen. Wenige Kilometer entfernt lagen die restlichen deutschen Soldaten entlang der Grenze zur Tschechei unter gefällten Bäumen verschanzt. Von diesen Panzern kehrten am Abend nur wenige wieder in das Dorf zurück. Am nächsten Morgen wurden wir in der Frühe auf Lastwagen geladen und zunächst zur Stadt Waldmünchen, später nach Döfering gebracht.
In der Schulgeschichte steht: "Mit Hilfe der Amerikaner erreicht die Gruppe im Mai Döfering (nördl. Bayrischer Wald), wo die Schüler zum Teil bis Juni 1946 bleiben". Ich kann mich an eine Hilfe der Amerikaner nicht erinnern, die Amerikaner haben uns fast alles weggenommen, vom Besteck durfte man einen Löffel behalten, aber keine Gabel oder gar ein Messer. Diese jungen Soldaten hatten eine Heidenangst vor uns Kindern, sie sahen in uns den gefährlichen "Werwolf".
Für uns Kinder war zwar der Krieg vorbei, aber an eine Rückkehr zu den Familien war nicht zu denken. So verging Monat um Monat. Niemals hat der Direktor Iskraut mit uns Kindern gesprochen, was weiter geschehen soll. Es wurde auch niemals etwas gesagt, über die völlig neue politische Situation in Deutschland. Das Essen war sehr knapp, um den ständigen Hunger zu stillen, gingen wir Kinder bei den Bauern betteln oder tauschten einen Pullover oder ein Paar Strümpfe, die wir aus einem Depot in der Tschechei auf unserem Marsch erhalten hatten, gegen etwas Brot ein. Als der Direktor Iskraut davon erfuhr, ordnete er einen Appell an, bei dem jeder seine Sachen vorzeigen mußte. Ich hatte eine BDM- (Mädchen) Jacke bekommen, die ich aber versetzt hatte und nun nicht vorweisen konnte. Somit war ich einer der Kandidaten, der vom Direktor persönlich eine Prügelstrafe mit seinem Ledergürtel erhalten sollte. Als ich dann später zum Empfang der Strafe kommandiert wurde, habe ich meine Decke und den Brotbeutel genommen und bin zu Fuß von Döfering nach Cham gelaufen. Ich wollte ohnehin seit einiger Zeit schon nicht nach Berlin, wo die Russen waren, zurückkehren.
Ich hatte kurz vor unserem Abmarsch in Heideburg noch die Nachricht erhalten, daß ein Teil unserer Familie von Berlin nach Westfalen zu Verwandten gegangen war. Also macht ich mich auf den Weg dorthin. Zu Fuß, teils auf Lastwagen und Güterzügen bin ich dann einigen Wochen erschöpft angekommen. Als dann im Frühjahr 1946 die Schulen dort wieder eröffnet wurden, ging ich auf die Mittelschule.
Im KLV-Lager Heideburg wurde im Winter 1944 ein Foto von der gesamten Schule gemacht. Sie finden das Bild in der Anlage zu dieser Mail.
Leider kann ich im Internet keine weiteren Informationen über das Verbleiben der anderen Schüler finden. Sofern sie noch leben, ist wohl nur ein geringer Teil von ihnen mit einem Computer im Internet. Mich erstaunt sehr, daß die letzten Schüler bis Juni 1946 in Döfering waren. Möglicherweise haben Sie in Ihrem Archiv für mich noch andere interessante Informationen.
Seit meiner Pensionierung lebe ich jetzt im Nordosten Thailands, komme bisher aber immer einmal im Jahr nach Deutschland. Das Internet ist für mich eine der Quellen, über die ich mich über Deutschland informieren kann. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir auf meinemn Brief antworten würden.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Voss